Let’s Play: Civil War #LE1212

by Kilian

12-2015-12-12 16.38.51

Normalerweise bin ich ja darum bemüht, Themen, Anreize, Musik oder Sonstiges, was mich zum Schreiben bewegt, relativ zeitnah nach dem Musenkuss auf das digitale Papier zu bringen, doch nachdem aus verschiedensten Richtungen in den vergangenen 72 Stunden schon wieder eine Menge Stumpfsinn zu den Ereignissen des vergangenen Samstages in der Leipziger Südvorstadt durch die verschiedensten Kanäle gejagt wurde, wäre mir die Lust auf einen Nachbericht zu diesem konkreten Thema beinahe vergangen. Aber eben nur beinahe.

Für den Samstag des vergangenen Wochenendes waren Demonstrationen dreier rechtsextremer Gruppen im Stadtteil Connewitz im Leipziger Süden angemeldet: Die tiefbraune Splitterpartei DIE RECHTE – Originalität, quo vadis? – das PEGIDA-Derivat THÜGIDA und die „Offensive für Deutschland“ wollten mit ihrem Sternmarsch durch den traditionell linken Kiez der Messestadt bewusst provozieren und laut eigener Aussage „Connewitz in Schutt und Asche legen.“  Entsprechender demokratischer und korrespondierend dazu auch weniger systemkonformer Protest formte sich in der linken Enklave Sachsens sehr zügig und an alle, die den in großer Zahl erwarteten Brownies (angemeldet waren drei Mal 400 Personen) etwas zu sagen hatten, ging eine herzliche Einladung zur „Weihnachtsfeier des Antifa e.V.“ Neben den Gegenveranstaltungen der System- und Nazikritiker fanden unter Anderem natürlich auch weniger brisante Kundgebungen und Demonstrationszüge an der HTWK Leipzig und im gesamten Gebiet um den am Freitag noch in den angrenzenden Stadtteil Südvorstadt verlegten fremdenfeindlichen Aufmarsch statt. An insgesamt zehn angemeldeten Gegendemonstrationen in der Nähe der Karl-Liebknecht-Straße nahmen rund 2500 vermutlich Linke teil. Antifaschistischer und auch gemäßigterer Protest in Hör- oder Sichtweite der Neonazis war durch Auflagen der Behörden in die Peripherie des eigentlichen Aufmarsches verlagert worden – eine Entscheidung, die wir an dieser Stelle mit „semiklug“ noch milde umschreiben wollen.

Jedenfalls sollte vieles anders kommen als erwartet: Vor den Türen der Leipziger Distillery, in der Nähe des S-Bahnhofs Leipzig-MDR gelegen, versammelten sich Samstagmittag etwa 135-150 teilweise recht bedröppelt dreinschauende „echte Deutsche“ aus rechtsextremen Zirkeln verschiedenster Couleur (Get it?) zum Sternmarsch – ach, wie weihnachtlich. Weniger weihnachtlich, sonder eher typisch #Kaltland und einfach herrlich deutsch ist allerdings die Ordnungswidrigkeit, die die Betreiber der Distillery für das Übertönen der Brownies mit lauter Musik erwartet, doch das nur am Rande. Wie oben erwähnt, wurde die Demonstrationsroute der Neonazis am Freitag (Captain Hindsight gefällt das.) ins Gebiet der politisch um einiges gemäßigteren Südvorstadt verlegt und umfasste letztlich ca. 550 Meter. Nationale Revolution, here we go!

Mein Plan für den Nachmittag bestand eigentlich darin, erst einmal ohne Kontakt zur Polizei oder anderen Missliebigen mit ausreichender Distanz zum zu erwartenden Geschehen mein Fahrrad abzustellen und mich in Richtung der Noch-Simildenstraße (sic!) und zur von der PARTEI Leipzig angemeldeten Demonstration zur Umbenennung in „Frau Krause ihre Straße“ zu gesellen – in etwa als Matinée zur Einstimmung auf die Dinge, die da kommen sollten. Auf der Karl-Liebknecht-Straße, auf der ich im Folgenden zu Fuß unterwegs war, war zu diesem Zeitpunkt die Stimmung noch blendend: Sonnenschein, ein Haufen junge Menschen, Bier, Passanten, alles in allem höchst friedlich. Am Südplatz, an dem ich mich etwas an die Lage akklimatisieren wollte, sollte sich das jedoch rasch ändern. Aufgrund der zahlreichen Menschen und des noch tadellos funktionierenden Verkehrs auf der Karli und meinem über deutsche Landesgrenzen hinaus bekanntem miserablem Zeitmanagement, ließ ich den Plan mit der PARTEI-Demo nämlich wieder fallen und musste mich zu meinem Unmut – Personenkontrolle – für Wechselklamotten und meinen Geldbeutel wieder nach Hause begeben (ca. 15 Minuten einfach bei regulären Verkehrverhältnissen).

Keine Minute danach und buchstäblich eine Straße weiter, ich derweil am Südplatz unterwegs zu meinem Fahrrad, formierte sich explosionsartig ein beachtlicher Mob aus 300 bis 400 „auf einmal“ schwarz gekleideten und vermummten, „Alerta! Alerta! Antifascista!“ skandierenden Antifaschisten, die mit diversen Evergreens gehörig auf sich aufmerksam machten: Böller gingen in die Luft, das eine oder andere Straßenschild fand seinen Weg auf die Straße und die gesittete Vereinsfeier in weihnachtlicher Stimmung nahm ihren Lauf.

Bis mein Geldbeutel, der sich als verloren (aber wiederauffindbar) herausstellte, ich mich – dank Twitter immer der aktuellen Geschehnisse gewahr – an größeren Ansammlungen Polizei vorbei und einen sicheren Ort für mein Fahrrad gefunden habend wieder in der Nähe des Südplatzes aufhielt, war es in etwa halb vier am Nachmittag und von der Idylle zweieinhalb Stunden davor nicht mehr viel zu sehen: Brennende Barrikaden, Rauchschwaden in der Ferne, durcheinander wuselnde Autonome, reguläre Demonstranten und Unmengen Polizei in der Peripherie des Platzes zeichneten ein gänzlich anderes Bild – „Wir haben Spaß und ihr Bereitschaft“. Unbekannter Künstler, 2015, Pfefferspray auf Asphalt, oder so ähnlich.

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Ich machte mich also, bewaffnet mit einem Berliner Kindl (zum Trinken, was denkt ihr von mir), einer Schachtel Kippen und meinem Handy und irgendwie Lust auf das Ganze auf ins Getümmel. Mit jedem Meter, den ich die Straße hinunter zurücklegte, stieg mir der Geruch von Rauch, CS-Gas und Pfefferspray stärker in die Nase, Sirenen oder Musik hier und dort durchbrachen die Parolen, Rufe und normalen Unterhaltungen, Polizisten standen, rannten und agierten in Gruppen mit stark variierenden Graden der Professionalität und Souveränität und Rauchschwaden, Wasserdampf und Reizgase zeichneten ein dystopisches Szenario am Horizont. Einen minutiösen Bericht meiner Erlebnisse kann ich durch die allgemeine Stimmung und ein auch anderweitig nicht gerade wenig anstrengendes Wochenende (UVB und Bas Mooy lassen an dieser Stelle grüßen) nicht wirklich liefern, doch einige der Schlaglichter seien noch außerhalb der Fotos am Ende dieses Beitrags erwähnt.

Gegen 16:30 Uhr befand ich mich an der Kreuzung Kurt-Eisner-Straße/Karl-Liebknecht-Straße und begab mich mit zahlreichen anderen Gegendemonstranten und Pressevertretern der Polizei entgegen die Kurt-Eisner-Straße hinab – denn ich persönlich hatte, so wie Unmengen anderer an diesem Samstagnachmittag, keinen einzigen Brownie zu Gesicht bekommen. Und wozu sonst das ganze Spektakel? Wir sahen uns einem sich dort in der Nähe formierenden, massiven Polizeiaufgebot aus sicherlich zehn Mannschaftswagen, drei Wasserwerfern und anderen Einsatzfahrzeugen mit zahlreichen Fußtruppen gegenüber, die auch im direkten Gespräch wenig gute Gründe für ihre Absperrung liefern konnten. Wer versuchte, durchzukommen, wurde rüde gestoppt.

Aus einem der Wasserwerfer ertönte auf einmal eine nicht zu verstehende Durchsage, die sich – wie die Gegendemonstranten inklusive mir im Nachhinein aus dem Kontext erschließen konnten – darum drehte, man möge doch für die nahenden Fahrzeuge den Weg frei machen. Sekunden nach der Durchsage stürmte eine Hundertschaft übel gelaunter Staatsdiener auf die Menge zu, die sich schleunigst in Richtung der hinter ihnen liegenden Kreuzung verzog, die, wenn man es so will, zu diesem Zeitpunk in der Hand der Gegendemonstranten war. Auf Letztere wurde keinerlei Rücksicht genommen, als diese zur Kreuzung getrieben wurden und auf beiden Straßenseiten wurden friedliche Demonstranten mit unangebrachter Härte und ohne Nennung von Gründen eingekesselt, auch Pressevertreter gerieten unter die metaphorischen Räder, Pfefferspray wurde eingesetzt. Woher ich das weiß? Voilà. 40 Minuten, ein Schlag auf den Oberarm und keine Rechtfertigung seitens der Beamten standen nach dem Polizeikessel für mich auf der Uhr.

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Im Polizeikessel in der Kurt-Eisner-Straße. (16:31 Uhr)

In der Folge entbrannte eine Schlacht um die Kreuzung zwischen hunderten mit Steinen, Glasflaschen und ähnlichen an der Karli niemals ausgehenden Ressourcen bewaffneten Gegendemonstranten und der die großen Geschütze auffahrenden Staatsgewalt, auf welche ich hier nicht weiter im Detail eingehen werde und von deren (relativer) Schlussphase ich aus naheliegenden Gründen nur Fotos aus sicherer Entfernung habe. Es sei nur gesagt, dass mich eine gewisse diebische Freude beschlich, als ich erfuhr, dass die werte Staatsmacht mit ihrem Pistolero-Verhalten in Bezug auf Reizgas und Pfefferspray auch ordentlich Friendly Fire verursachte, anstatt nur weite Teile der Südvorstadt und damit auch zahlreiche Unbeteiligte und Anwohner einzunebeln.

Es begann ein Katz- und Mausspiel zwischen der Polizei und den unter weiterem Gaspatronenbeschuss und den Schwaden der vorherigen Detonationen die Karl-Liebknecht-Straße in Richtung Innenstadt flüchtenden Gegendemonstranten, während sich auf der Kreuzung ein weiteres Gefecht mit Wasserwerfern geliefert wurde. Ich kann auch mindestens einen Steinwurf aus den Reihen der Polizei bestätigen, sowie sah ich einmal definitiv glühende Splitter eines Geschosses in der Luft, die auf die Flüchtenden niedergingen. Das Entkommen aus dem sich auch aus Stadtrichtung langsam verdichtenden Kessels nahm für mich einige Zeit und Sprints in Anspruch, letztendlich war neben meinem inneren Systemkritiker, Revolutionär und Zoon Politikon nämlich auch der Durchschnittsdeutsche in mir rundum zufrieden – ich war pünktlich um halb sieben zur Sportschau auf meinem Sofa.

Remember, remember, the 12th of December

Was bleibt vom 12.12.? Nun, eine Menge Staub wurde in der Folge des Protests vom Samstag bereits aufgewirbelt, daher ist es Zeit, ein paar Fakten auf den Tisch zu legen:

  • Ja, ihr habt richtig gelesen: Am vergangenen Samstag gab es mehrere Fälle von Steinwürfen (laut VICE ebenfalls mindestens einen) seitens der Polizeibeamten. Bei unmöglicher nachträglicher Identifizierung und damit einhergehendes Straffreiheit sicherlich reizvoll, mit fliehenden Unbeteiligten und Demonstranten ohne Riot Gear als Ziel und scheinbar ohne jeden moralischen Kompass einfach nur beschämend.
  • Die Polizei hat darüber hinaus im Juli diesen Jahres abgelaufenes Tränengas benutzt. Von der regulären Wirkung von den verwendeten Gasen ausgehend, erschließt sich selbst dem Laien, dass das Ablaufdatum nicht ohne Grund darauf angebracht wurde.
  • Eine friedliche, angemeldete Kundgebung wurde ohne ersichtlichen Grund mit Gas beschossen. Wer schon einmal in den Genuss einer solchen Behandlung bekommen ist, weiß, dass Good Times anders aussehen. Wer sich nicht vorstellen kann, wie das aussieht, hier das Originalvideo aus Leipzig.
  • Journalisten, Unbeteiligte und Gegendemonstranten ohne Zahl waren staatlicher Willkür und Gewalt seitens der teilweise sichtlich überforderten und nicht angemessen reagierenden Polizeibeamten ausgesetzt. Wasserwerfer wurden gezielt auf Einzelpersonen und Journalisten gerichtet.
  • Einzelne Polizeibeamte sowie die Fahrzeuge machten fotografische Berichterstattung abseits von physischem Zwang durch Lichter teilweise gezielt unmöglich.
  • Beim Vermummungsverbot haben die Helme der sächsischen Polizei rechts einen blinden Fleck.
  • Der bekannte antifaschistische Jenaer Jugendpfarrer Lothar König, der schon einmal durch das mehr als dubiose Verhalten der sächsischen Justiz Bekanntheit erlangte, bekam von einem Polizisten einen Faustschlag ins Gesicht und wurde bar jeder Basis in Gewahrsam genommen und sein Lautsprecherwagen beschlagnahmt.

Was bleibt nun also wirklich? Ich glaube nicht, dass ich wirklich eine objektive Perspektive bieten kann auf das, was sich dort am Samstag abgespielt hat, aber, for what it’s worth: Nicht einmal lächerliche 200 Neonazis fanden ihren Weg in die Messestadt und das Ergebnis des Zusammenspiels aus medialer Stimmungsmache in beiden Lagern, übermotivierten Polizisten und in keinem Fall nachvollziehbaren Verhalten der Behörden im Vorfeld konnte man am 12. Dezember live beobachten. Demokratischer wie womöglich radikalerer Protest konnte dort, wo er gebraucht wurde, gar nicht stattfinden – in Sicht- und Hörweite des kleinen Häufleins Brauner, die ihre 550 Meter Propaganda und zurück mit ihren Compañeros vom SEK auf der Kurt-Eisner-Straße abliefen. Dass eine solche Verhinderung legitimen Protests und legitimer Demonstrationen Stellvertreterschauplätze generiert, an denen sich die ebenso legitime Wut der Gegendemonstranten auslädt, war abzusehen und sollte im Nachhinein nicht für Verwunderung sorgen. Von der Kurzsichtigkeit der Behörden, zeitgleiche Demonstrationen dreier rechtsextremer Randgruppen durch Connewitz zu genehmigen, mal ganz zu Schweigen. Das kurzfristige Umverlegen und Kürzen der Demonstrationsroute in mehr oder minder letzter Minute machte auch nicht den Eindruck, als sei man in der Stadtverwaltung Herr der Lage. Es hätte sicherlich einiges verhindert werden können am Samstag, soviel sei auf jeden Fall gesagt.

Zum Abschluss bedienen wir uns eines Zitats der Rechten: „Connewitz, wir sind da! Eure Anti-Antifa!“ Und antworten wie folgt: Nein, ihr wart nicht einmal in Connewitz. Ihr wart in der Südvorstadt. In einer einzigen Straße. 550 Meter. Und wieder zurück.

Wir waren da auch. Wir waren mehr als ihr. Wir werden immer mehr als ihr sein. Und wir werden an solchen Tagen immer mehr Spaß haben als ihr. Und als die Polizei.

Alle Bilder vom Autor.